Es ist schon kalt in Seoul, Korea. Früh am Morgen ist die Temperatur um den Gefrierpunkt. Der Himmel ist strahlend blau. Ginkobäume mit kräftigen gelben Blättern säumen die Strassen. Ein Café-Laden (ähnlich wie Starbucks) reiht sich an den anderen auf den Seouler Strassen. Korea produziert einige der besten und köstlichsten Grüntees der Welt, die außerhalb des Landes fast unmöglich zu bekommen sind. Doch das ganze Land scheint mittlerweile süchtig nach Kaffee.
Eine der erfolgreichsten Café-Ladenketten in Seoul heißt „coffee beans and tea leaf“, kurz "coffee bean" genannt (man merkt schon daran, dass Tee hier nur noch den 2. Platz belegt). Eine Trendwende, die schon vor vielen Jahren einsetzte. Der erste Café-Laden heißt club espresso und eröffnete 1990 in Seoul. Dort wird mittlerweile im großen Stil selber geröstet und vorzüglicher Kaffee in allen denkbaren Formen zubereitet.
Vor vielen Jahren wurde Zen Meister Seung Sahn gefragt, warum die Koreaner wohl plötzlich mehr Kaffee als Grüntee trinken, und er antwortete, da die Menschen immer mehr Fleisch essen, steigt auch das Bedürfniss nach Kaffee - als Ausgleich von Yin und Yang. In Europa dagegen sinkt der Fleischkonsum und die Nachfrage nach Grüntee ist gestiegen. Interessant wie sich in Ost und West die Interessen und Geschmäcker verschieben.
Ich suche mir ein kleines, noch leeres Cafe aus, in dessen erste Etage die Morgensonne hinein scheint. Ich mag diese kleinen ruhigen Winkel, die man hier mitten im modernen seouler Großstadttrubel finden kann.
Übermorgen fahre ich nach Mu Sang Sa, einem wunderbar gelegenen Zen-Kloster/ Internationales Zen Center in den Bergen, wo ich den Winter in einem intensiven Meditations-Retreat (Klausur) verbingen werde. Hier hatte ich 2008 mein erstes 90 Tage Sommer Retreat absolviert. Meine Erfahrung damit hatte ich hier in einem Interview geteilt.
Vom 15.11.2013 -15.02.2014 findet in allen Zen-Klöstern in Korea das traditionelle 90 Tage Winter Retreat statt - idealerweise eine intensive Zeit der Stille, in der sich alle Teilnehmer zusammen ausschließlich der Zen-Praxis widmen und den Klosterbereich nicht verlassen. Wecken ist 3:00 Uhr morgens und 22 Uhr geht das Licht aus. Zen-Mönche in Korea absolvieren traditionell zwei dieser 90 Tage Retreats (korean.: Kyol Che) pro Jahr, eins im Sommer und eins im Winter.
90 Tage ohne die alltäglichen soziale Kontake. Im Retreat ist die zwischen-menschliche Kommunikation auf das absolute Minimum beschränkt. Wer will schweigt komplett und kommuniziert per Sift und Zettel, wenn nötig.
Mich für bedeutet dass, es gibt keinen Computer, kein Smartphone, kein Internet, keine Musik, keine Filme, keine lustigen Abende miteinander. Es gibt kein äußerliches Entertainment - nichts, das einen davon abhalten könnte, komplett mit sich selbst allein zu sein. Oha. Dabei sind wir es doch so gewohnt der Langeweile - bewusst oder unbewusst- ständig zu entfliehen. Ein Retreat ist eine große Chance, einfach nur zu sein und wenn man sich darauf einlassen kann, dann kann man unglaublich schöne, tiefe und öffnende Erfahrungen machen. Abgeschieden von der Auswelt in der Winterzeit - innen wie außen. Das mag manchen Menschen Angst machen und das ist völlig in Ordnung. So sehr ich mich auch auf dieses Retreat freue, auf diese seltene Chance, so sehr habe ich auch Respekt davor.
Retreat bedeutet, sich selbst, dem eigenen urmenschlichem Zweifel mit größter Achtsamkeit begegnen, sich allem zu öffnen und alles loslassen, sich mit dem ganzen Leib dieser menschlichen Geworfenheit (wie Heidegger es mal so schön nannte) hingeben und das Innereste, den Urgrund des eigenen Selbst zu erforschen.
W A S bin I C H? ... W A S ist D A S?“
Adyashanti hat in einem seiner Bücher darüber in wundervollen, klaren Worten geschrieben und vergleicht intensive entschlossene Praxis mit dem Winter und den Qualitäten, die der Winter mit sich bringt:
Ich bin im Frühjahr zurück in Deutschland.
Doch erstmal kommt der Winter.
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